Tag des offenen Denkmals - 13. September 2020

Der Förderverein MannesmannHaus e.V. beteiligt sich am diesjährigen Aktionstag mit einem Film- und Textbeitrag zum Mannesmann-Turm in Remscheid, der auch "Blauer Mond" genannt wird.

Der Mannesmann-Turm und der „Blaue Mond" von Remscheid
Ein technisches Bauwerk als Leitprodukt
Von weitem war er zu sehen, der Mannesmann-Turm mit seinem bei Nacht blau strahlenden „MW" im geteilten Kreis. Der Turm ist das Wahrzeichen der Stadt Remscheid und er steht seit 2002 unter Denkmalschutz. Im April 2015 wurde, weil die Standfestigkeit des Turms gefährdet schien, das MW entfernt; zurück blieb ein unansehnlicher Torso. Trotz wiederholter Zusagen und des von einer breiten Öffentlichkeit getragenen Protests der „IG Blauer Mond" hat sich daran bis heute nichts geändert.

von Horst A. Wessel,

veröffentlicht im "Deutschen Ingenieurblatt" 3-2019

 

Der Mannesmann-Turm erinnert an eine Erfindung, die vor mehr als 130 Jahren nur wenige Meter von seinem Standort entfernt gemacht worden ist und die die Welt veränderte: Nach langen und mühevollen Versuchen war es den Brüdern Reinhard und Max Mannesmann in der Nacht vom 21. zum 22. August 1886 gelungen, das erste nahtlose Rohr aus dem massiven Stahlblock allein durch Walzen herzustellen, und zwar nach dem von ihnen erfundenen Schrägwalz-Verfahren. Damit stand erstmals ein absolut zuverlässiges und zugleich preiswertes Konstruktionsmaterial zur Verfügung, nach dem die Maschinen-, Fahrzeug- und Anlagenbauer sowie die Betreiber von Wasser- und Gasversorgungsanlagen und Fernleitungen seit
Jahrzehnten immer drängender verlangt hatten. Innerhalb weniger Jahre entstanden zahlreiche Mannesmannröhren-Werke, die den Weltmarkt bedienten. Das Mannesmannrohr wurde zu einem Zeichen der Moderne, von dem vielerorts geschwärmt wurde. Le Corbusier hängte ein daraus gefertigtes Fahrrad an seine Schlafzimmerdecke. Viele seiner Kollegen kreierten daraus Möbel, Mies van der Rohe seinen berühmten freischwingenden Sessel. Übrigens werden auch heute noch Stahlrohre nach dem Mannesmann-Verfahren hergestellt.


Das Mannesmannrohr ist nicht allein druckbeständig und stoßfest, sondern auch hoch belastbar, beliebig verformbar und darüber hinaus leicht. Die Bauingenieure erkannten darin sehr schnell ein optimal einsetzbares Konstruktionselement für den Hochbau. Als Mannesmann-Stahlbau-Hohlprofile (MSH-Profile) - kreisförmig und eckig - sind sie wegen ihrer statischen und zugleich ästhetischen Werte seit langem im Hoch-, Brücken- und Maschinenbau unverzichtbar. Viele Sportarenen, Veranstaltungshallen und auch Gewerbebauten weltweit verwenden sie als Tragelement und zur architektonischen Gestaltung. Zum Bau von Türmen hatten schon die Erfinder ihre Rohre verwenden wollen. Beispielsweise führte man 1892 Gespräche mit der dänischen Marineverwaltung über den Bau eines „400 Meter hohen Aussichtsturms für militärische Zwecke". Der Blick von dort oben dürfte zweifellos weit über das Meer gegangen sein und feindliche Schiffe wären auch sehr früh bemerkt worden. Allerdings wollen wir uns den Auf- und Abstieg über die schmalen Wendeltreppen sowie den Betrieb, insbesondere bei stürmischem Wetter, lieber nicht ausmalen.

Der Mannesmann-Turm in Remscheid ist gleichfalls aus nahtlosen Stahlrohren gefertigt worden. Er geht jedoch nicht auf eine Konstruktion der beiden Erfinder zurück, sondern auf die eines Flugzeugkonstrukteurs. Während des Zweiten Weltkriegs hatte im Mannesmannröhren-Werk in Düsseldorf-Rath der Ingenieur Fröhlich von Messerschmitt gearbeitet und den Bau von Rümpfen aus Stahlrohren für Lastensegler überwacht - diese gingen zur Fertigstellung als angebliche Hochleitungsmasten per Eisenbahn nach Süddeutschland. Nach dem Krieg war der Ingenieur arbeitslos. Weil es ihm in Düsseldorf und bei Mannesmann gefiel, schlug er vor, die bisherigen Konstruktionen leicht zu verändern und als Rohrtürme zu verwenden. Damit erklärte sich das Unternehmen einverstanden. Der erste Rohrturm wurde Anfang der 1950er-Jahre auf der Hannover Messe aufgestellt; er war 65 m hoch; weitere Türme dieser Art, alle auf der Spitze mit dem MW im geteilten Kreis, dem von Peter Behrens 1912 entworfenen und seitdem geschützten Zeichen, in der Konzernfarbe Blau, wurden weltweit auf den von Mannesmann regelmäßig beschickten Messen, u.a. in Wien und Sao Paulo sowie am Konzernsitz in Düsseldorf, aufgestellt. Andere fanden Verwendung als Antennen- und Funkmasten oder dienten Werbezwecken.

 

Nachdem das Messegelände in Hannover eine wesentlich größere Ausdehnung genommen hatte, errichtete Mannesmann dort einen neuen, mit über 100 m sehr viel höheren Turm. Den „alten" erhielt das Mannesmannröhren-Werk in Remscheid, die Geburtsstätte des Mannesmannrohrs. Weil der Bürgermeister kein Gebäude genehmigen wollte, das höher als sein Rathausturm war, wurde der Turm auf eine Höhe von 59 m gekürzt. Der „Blaue Mond" wurde am Abend des 21. August 1961, auf den Tag genau 75 Jahre nach der Walzung des ersten Mannesmannrohrs, in Betrieb genommen. Den Schalter betätigten zwei der Töchter des Erfinders Reinhard Mannesmann. Der Remscheider Turm, der inzwischen in Nordrhein-Westfalen der letzte seiner Art ist, inkorporiert als technisches Bauwerk das Leitprodukt der Mannesmannröhren-Werke. Seine elegante Umrissgestalt bezieht er aus den spezifischen Eigenschaften der Röhrenkonstruktion. Sie verbindet ein sehr leicht wirkendes Erscheinungsbild mit der notwendigen Statik. Über einem dreieckigen Grundriss steigen drei sparsam dimensionierte Stahlrohre aus unverwüstlichem Siemens-Martin-Stahl konkav eingezogen nach oben, um sich in der Höhe in die doppelte Kreisform des Unternehmens-Signets, das MW, auf dem geringsten Abstand voneinander zu vereinigen. Regelmäßige Diagonal-Röhrenstreben füllen diese Umrissgestalt über den Kreuzverbänden des Sockelteils stabilisierend aus. Von der Umstrukturierung des Konzerns zeugen seit den 1990er-Jahren die Mobilfunkanlagen.


Zum Autor: Prof. Dr. phil Horst A. Wessel; Studium der Germanistik und Geschichte; Promotion zum Dr. phil. an der Universität Bonn; 2001 Ernennung zum apl. Professor der Heinrich-Heine Universität Düsseldorf; berufliche Tätigkeiten u.a.: 1976-1983 Geschäftsführer der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte (GUG); 1983-2008 Leiter des Mannesmann-Archivs; 1986-1992 Vorsitzender der Vereinigung deutscher Wirtschaftsarchivare; 1984-2007 Organisator der VDE-Kolloquien zur Geschichte der Elektrotechnik; 1995-1997 stellv. Vorsitzender; 1997-2007 Vorsitzender des VDE-Ausschusses „Geschichte der Elektrotechnik"; seit 2005 Wissenschaftlicher Leiter des Gründer- und Unternehmermuseums Mülheim an der Ruhr; 2008 Auszeichnung mit der Karl-Joachim-Euler-Medaille für Verdienste um die Erforschung und Darstellung der Geschichte der Elektrotechnik.